Am Vorabend des offiziellen Beginns des Sommerfestes der Jungen Alternative 2023 trat der Neonazi-Musiker Björn Pessel alias “Der Visionär” bei der JA auf. In einem ausführlichen Recherche-Artikel hatten wir Ende März gezeigt, wie sich diese Behauptung belegen lässt.
Arbeitet “Jedes Jahr im Sommer“ mit einer Fälschung?
Gar nicht gut angekommen sind unsere Recherchen anscheinend bei der Jungen Alternative. Die versucht es nun mit Vorwärtsverteidigung. “Guten Morgen Jungs und Mädels dieser Instagramseite. Die oben aufgeführte Behauptung ist eine astreine Lüge, produziert mit einer Foto Fälschung. Wir distanzieren und klar von dieser Behauptung und Musikern mit solchem Gedankengut”, hieß es in holprigem Deutsch am Mittwoch vergangener Woche auf unsere Instagram-Seite in der entsprechenden Kommentarspalte. Dass die Behauptungen der Jungen Alternative mal wieder einen Versuch der Täuschung darstellen, zeigen wir im folgenden Artikel. Und zwar ausführlich –anhand digitaler Forensik.
Eine “Foto Fälschung”? Gepostet hatte den Einwurf der offizielle Account der Jungen Alternative Altmark. Wir wollten es genauer wissen. Und fragten: “Also hat er beim Auftritt ein anderes T-Shirt getragen und dieses Bild hier wurde gefälscht und uns untergejubelt?”. Mehr erfuhren wir per Antwort der JA: “Keine Ahnung wo der Herr aufgetreten ist und woher ihr das Foto habt. Bei uns lassen wir mit Sicherheit solche Auftritte nicht zu. Jeder Photoshopphillipp bastelt so eine Szenerie innerhalb von 5 Minuten und veröffentlicht es.”
Aha! Wir erinnern uns: Den Nachweis, dass “Der Visionär” am Ort des JA-Sommerfestes aufgetreten war, hatten wir nicht nur per Screenshot vom Instagram-Account des Nazi-Musikers geliefert, auf dem dieser selbst samt Foto den Auftritt in der Altmark bejubelt. Auch hatten wir gezeigt, dass die Szenerie im Hintergrund des Bildes eben jener Szenerie entspricht, die auf den offiziell von der Jungen Alternative verbreiteten Fotos des Sommerfestes zu sehen ist: Ein Lagerfeuer und eine Lichterkette mit Wiedererkennungswert.
Der Vorwurf der JA lautet also: Ja, das ist schon irgendwie unser Sommerfest da im Hintergrund. Aber den Nazi-Musiker samt Holocaust veralberndem und Hitlerjungen zeigendem T-Shirt, den habt ihr da rein gephotoshopt!
Digitale Forensik gegen den Angriff auf die Wahrheit
Nun ist es im Allgemeinen Aufgabe von Nazi-Gegner*innen und Journalist*innen, die gar nicht mehr zu zählenden Fakes und Foto-Manipulationen der AfD und anderer Rechter als solche auszuweisen. In den vergangenen Monaten kam bekanntlich das Spiel mit KI-generierten Pseudo-Fotos hinzu, mit denen die Partei Hass und Desinformation säht. Nun also will sie ernten: Wenn die AfD die Öffentlichkeit mit falschen Bildern fluten kann, dann kann sie auch echte, für sie nachteilige Bilder einfach als Fake hinstellen. Denkt sie.
Doch es gibt technische Möglichkeiten, per Photoshop zusammengesetzte Bilder auch nachträglich als solche zu entlarven. Das heißt aber auch: Zu zeigen, wenn eine solche Zusammensetzung nicht vorliegt. Eine solche Möglichkeit bietet etwa das Portal fotoforensics.com. Bei der Error Level Analysis (ELA) werden, grob gesagt, bestimmte, an Farbübergängen natürlich vorkommende Pixel-Fehler in JPG-Grafiken vervielfacht. Die Pixelfehler entstehen durch den Grad der Komprimierung der Grafik. Ist der Komprimierungsgrad höher, entstehen mehr Pixelfehler an Rändern. Weniger Komprimierung bedeutet: Mehr verbrauchte Bytes, dafür aber weniger Pixelfehler.
Durch das ELA-Verfahren werden nun kontrastreiche Kanten anhand ihrer Pixelfehler besonders hervorgehoben. Es entsteht ein über das gesamte Bild vergleichbares Muster von Kanten. Ein Bild mit einem anderen Komprimierungsgrad wiederum hätte ein anderes, in sich aber gleichbleibendes Muster. Nun die Crux: Dort, wo diese Kanten nicht den ansonsten im Bild zu erwartenden Kontrasten entsprechen, weil ein Element nachträglich per Photoshop hineingesetzt wurde, fallen in der ELA erkennbare Unterschiede auf.
Welches Beispiel eignete sich zur Demonstration besser als ein bekannt gewordener, offensichtlicher AfD-Fake? In folgendem Bild sind die vier Personen links nachträglich per Photoshop hineingesetzt. Das sieht man nicht nur auf den ersten Blick, sondern auch auf den Zweiten: Es fehlen die Schatten, außerdem ist die Frau im gestreiften Shirt gleich zwei mal auf dem Bild zu sehen. Kann ja mal passieren.
In der ELA entstehen rund um die vier hineingesetzten Personen nun besonders kontrastreiche Kanten. Nur passen die nicht zu den Kanten, die rund um die anderen Personen zu sehen sind. Sie sind erkennbar stärker.
Dieses Prinzip machen wir uns nun beim von uns selbst veröffentlichten Foto bzw. beim “Visionär”-Screenshot zunutze. Wäre das Bild des “Visionär”-Auftritts vor der Szenerie des JA-Sommerfestes ein Fake, wären an den Übergängen zwischen dem Musiker und der Szenerie (Lichterkette, Lagerfeuer) wahrscheinlich deutliche Kanten zu erkennen, die nicht mit den Kanten im restlichen Bild übereinstimmen. Oder: Es wären Kanten rund um den Musiker oder rund um Lichterkette und Lagerfeuer zu sehen, die den anderen Kanten widersprechen.
Und nun das selbe Bild in der ELA-Ansicht:
Die ELA-Analyse bleibt hier jedoch unauffällig. Der JPG-Komprimierungsgrad von Lagerfeuer und Lichterkette stimmt also mit demjenigen des “Der Visionär“-Motivs (weitgehend) überein. Genau so, wie man es bei einem nicht gefälschten Foto erwarten würde. Zum Vergleich ein von der JA selbst verbreitetes Foto des Sommerfestes:
Und nun in der ELA-Ansicht:
Wir sehen: Die AfD hat mit diesem Bild (ausnahmsweise mal) nicht gelogen. Treiben wir das Spiel weiter. Erstellen wir aus diesen Vorlagen selbst einen Fake und setzen den “Visionär” in das von der Jungen Alternative verbreitete Bild ein:
Zeigen wir diesen Fake nun in der ELA, springt das Phänomen sofort ins Auge:
Der Effekt wird besonders dort deutlich, wo der Kontrast zwischen dem eingebauten Musiker und dem Hintergrund aufgrund des Lichts besonders stark ist. In der ELA-Ansicht des Beleg-Screenshots vom “Visionär”-Instagramaccount fehlt dieses Phänomen aber völlig. Ein hundertprozentiger Beweis für die Echtheit des “Visionär”-Fotos ist das freilich nicht. Aber ein sehr starker Beleg.
Wenn sich die JA “distanziert”, heißt das: Eine Armlänge Abstand
Einen nochmal stärkeren Beleg für die Behauptung aber, dass der Sommerfest-Veranstalter Sebastian Koch eine gewisse Vorliebe für Nazi-Konzerte hat, lieferte kürzlich der Landesverfassungsschutz Sachsen-Anhalt.
Der schrieb in seinem Anfang Juli erschienenen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 erstmals über Sebastian Koch: “Der Vorsitzende des AfD-Kreisverbands Altmarkkreis-Salzwedel und des JA-Gebietsverbands Altmark fiel seit dem Jahr 2012 konstant in rechtsextremistischen Zusammenhängen auf und nahm an einer Vielzahl von Veranstaltungen wie ‚Heldengedenken‘, Kranzniederlegungen oder Konzerten der neonazistischen Szene teil.”
Aber wenn auch elf Jahre Arbeit des Landesverfassungsschutzes auf gefälschten Belegen von Sebastian Koch auf Nazi-Konzerten beruhen, dann kann der Herr ja klagen. So lange die AfD nämlich noch nicht an der Macht ist, ist so etwas in Deutschland noch möglich.
Wir allerdings würden eher davon ausgehen, dass man bei der Jungen Alternative lieber weiterhin darauf setzt, sich von Nazi-Musiker*innen, deren Konzerte man besucht – oder gleich selbst ausrichtet – einfach zu “distanzieren”. Genau eine Armlänge Abstand dürfte dazu in diesen Kreisen als ausreichend gelten. Wenn, – ja, wenn keiner zusieht.
Dafür aber, dass auch auf dem JA-Sommerfest 2024 ein kritischer Blick von außen liegt, dafür werden wir sorgen. Stay tuned, ihr hört von uns!